Projekt: Erweitertes Leitbild moderner Beruflichkeit
Ein neues Leitbild für die betrieblich duale und hochschulische Berufsbildung
Die IG Metall will in den kommenden Monaten die Grundlagen für ein erweitertes Leitbild moderner Beruflichkeit legen. Sie will angesichts weitreichender Veränderungsprozesse in den Betrieben und in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ihre Bildungs- und Berufsbildungspolitik stärken, die berufliche Organisation von Arbeit auf die neuen Anforderungen ausrichten und Anstöße für gewerkschaftliches Handeln gewinnen.
Dabei ist von einer widersprüchlichen Situation auszugehen. Prekarisierung, Flexibilisierung und Taylorisierung unterstützen Tendenzen der "Entberuflichung". Andererseits sind moderne Produktionsstrukturen auch zukünftig ohne qualifizierte Arbeit undenkbar. Der Trend zu einem verstärkten Einsatz von akademisch ausgebildeten ArbeitnehmerInnen geht einher mit einer verstärkten Anforderung an die berufliche Qualifizierung der Studierenden.
Die IG Metall hat sich in den letzten Jahrzehnten für die Reform der Beruflichen Bildung eingesetzt. In der gewerkschaftlichen Neuordnungspolitik und bei der Entwicklung der europäischen Kernberufe wurde vor mehr als zehn Jahren ein Leitbild moderner Beruflichkeit entwickelt.
In dessen Zentrum steht das Prinzip offener, dynamischer Berufsbilder, die in enger Verknüpfung mit Arbeits- und Gestaltungsorientierung stehen. Berufsbildung zielt auf Entspezialisierung und die Vermittlung von Kernkompetenzen. Moderne Beruflichkeit basiert auf einem Konzept der Prozess- und Systemorientierung in der Arbeitswelt und auf der Vermittlung von berufsübergreifendem Zusammenhangswissen.
Trägt dieses Konzept auch in Zukunft? In welche Richtung muss das Konzept weiter entwickelt werden?
Mit diesem Entwurf der Kernaussagen des neuen Leitbildes wollen wir die Arbeit beginnen. Er versteht sich als "interner" Entwurf, der auf den Workshops und im Bildungsausschuss zur Diskussion gestellt und bis zum Herbst weiter entwickelt wird.
mehr >>>Download Kernaussagen
Ein wichtiges Ziel ist, die Berufsbildungspolitik der IG Metall weiterzuentwickeln. Dafür soll das Konzept der Beruflichkeit von Arbeit um wichtige Aspekte ergänzt werden.
Unsere These lautet:
Ein neues "erweitertes Leitbild moderner Beruflichkeit" ist sinnvoll, um angesichts der vorhandenen Erosionsprozesse die berufliche Organisation von Arbeit zu stärken. Angesichts der "Akademisierung von Arbeit" muss das Leitbild berufliche und hochschulische Bildung in einer gemeinsamen bildungspolitischen Perspektive zusammenführen. Das Leitbild trägt dazu bei, Schlussfolgerungen für die unmittelbaren gewerkschaftlichen Handlungsebenen wie Bildungs- und Berufsbildungs-, Betriebs-, Tarif- und Arbeitspolitik zu ziehen. Das Leitbild gibt Hinweise für notwendige Interventionen in gesellschaftliche Prozesse.
Behandelt werden Querschnittsfragen des "betrieblich-dualen" und des "akademischen" Bildungstyps. Es geht um Fragen der Gleichwertigkeit, der Durchlässigkeit und des Vergleiches der beiden Bildungskonzeptionen. Was trennt duale und akademische Berufe? Was führt sie zusammen? Gibt es ähnliche oder gemeinsame politische Handlungsstrategien?
Dabei sind viele Fragen offen: Was würde ein erweitertes Leitbild für das Verständnis von Beruflichkeit und seine Wirkungen auf Beschäftigungsfähigkeit bedeuten? Wie ließen sich Geschlechtergerechtigkeit und Diversity in die Konzeption integrieren? Auf welchen Gemeinsamkeiten zwischen betrieblich-dualen und hochschulischen Berufskonzepten kann das Leitbild aufbauen, welche Unterschiede müssen berücksichtigt werden? Welche europäischen und transnationalen Perspektiven sind zu integrieren? In welche Richtung lassen sich Konzepte des Übergangs, der Gleichwertigkeit und der sozialen Durchlässigkeit zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung weiterentwickeln?
Um diese Fragen bearbeiten zu können, wollen wir
- Veränderungen in der Arbeitswelt, wie den Stellenwert der sog. Wissensarbeit und aktuelle Tendenzen der Arbeits- und Produktionspolitik erörtern,
- die strategische Personalplanung von Betrieben zur Diskussion stellen,
- soziale Prozesse, wie die Veränderungen im Bildungsverhalten der Menschen
- und politische Prozesse, wie die Einführung des Deutschen Qualifikationsrahmens oder den Einfluss europäischer Prozesse auf nationale Bildungspolitik erörtern;
- Entwicklungslinien der "Entberuflichung" jenen der Stärkung von "Beruflichkeit" gegenüberstellen,
- Berufskonzepte des "dual-betrieblichen Bildungstyps" mit dem des "akademischen Bildungstyps" vergleichen,
- Vorschläge zur Erweiterung des Leitbildes "Moderne Beruflichkeit" entwickeln,
- die Schlussfolgerungen für die Umsetzung in den gewerkschaftlichen und gesellschaftspolitischen Handlungsfeldern ziehen.
Das Projekt baut auf der gemeinsamen Workshopreihe von IG Metall, Sozialforschungsstelle Dortmund, ITB Bremen: "Akademisierung der Arbeitswelt?- Zur Zukunft der berufliche Bildung" auf1.
1 Vgl. dazu Buchveröffentlichung: Eva Kuda, Jürgen Strauß, Georg Spöttl, Bernd Kaßebaum, Akademisierung der Arbeitswelt? Zur Zukunft der beruflichen Bildung. Hamburg 2012
Im Kern der Projektarbeit stehen vier Workshops mit betrieblichen, gewerkschaftlichen und wissenschaftlichen BildungsexpertInnen. Sie finden in der Regel in Frankfurt/Main statt.
- "Entwicklungstendenzen von Beruflichkeit in Ausbildungsberufen und im Studium"
01./ 02. November
Der Workshop stellt das Gesamtprojekt vor und soll den Anschluss an die zum Berufsbegriff vorherrschenden arbeits- und bildungspolitischen Diskurse und an den gewerkschaftlichen Diskussionsstand ermöglichen.
- "Perspektiven von Beruflichkeit im betrieblich-dualen Bildungstyp"
14. Februar 2013
Es geht um Aspekte der empirischen und konzeptionellen Entwicklung von Berufen, um Ansatzpunkte für Gleichwertigkeit mit wissenschaftlichen Berufen, um Schlussfolgerungen für soziale Durchlässigkeit und Anrechenbarkeit.
- "Perspektiven von Beruflichkeit im akademischen Bildungstyp"
27. Juni 2013
Es sollen empirische und konzeptionelle Entwicklungen beschrieben und Ansatzpunkte für eine Ausrichtung von Studium, Lehre und wissenschaftlicher Weiterbildung an einem Konzept der Beruflichkeit erörtert werden. Gefragt wird, welche Implikationen mit einem Konzept der "Wissenschaftlichen Berufsausbildung" verbunden sind.
- "Eckpunkte für ein Leitbild erweiterter moderner Beruflichkeit"
verschoben auf den 21/22. Januar 2014
Es werden Eckpunkte eines "Leitbildes erweiterter Beruflichkeit" zur Diskussion gestellt und mögliche Konsequenzen für gewerkschaftliches Handeln in den Bereichen Bildungs-, Arbeits-, Betriebs- und Tarifpolitik sowie der Gesellschaftspolitik erörtert.
Timo Gayer, Klaus Heimann, Bernd Kaßebaum, Eva Kuda, Thomas Ressel, Alexandra Schließinger (Organisation)
Wissenschaftliche Begleitung:
Prof. Dr. Georg Spöttl (Institut Technik und Bildung, Universität Bremen)
Jürgen Strauß (Sozialforschungsstelle, Technische Universität Dortmund)
Nachfolgend haben wir für eine Liste mit der Grundlagenliteratur für das Projekt "Neues Leitbild moderne Beruflichkeit" zusammengestellt. Einen Großteil der Artikel kann man bequem online anrufen. Die Artikel, bei denen eine Verlinkung nicht möglich war, stellen wir auf Anfrage gerne in digitaler Form zur Verfügung. Wenden Sie sich hierfür bitte an Frau Alexandra Schliessinger (Alexandra.Schliessinger@igmetall.de).
Positionen der IG Metall
- Gewerkschaftliches Gutachternetzwerk (2012): Zur Einbeziehung von Fachlichkeit und Beruflichkeit ins Akkreditierungssystem, Diskussionspapier, Juli 2012.
- Gewerkschaftliches Gutachternetzwerk (Hg.) (2009): Studium als wissenschaftliche Berufsausbildung. Gewerkschaftliches Argumentationspapier zur Gestaltung und Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen in den Ingenieurwissenschaften, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hannover.
- Heimann, Klaus (2012): Ist gewerkschaftliche Berufsbildungspolitik zukunftsfähig?, in : www.denk-doch-mal.de
- IG Metall-Vorstand (2007): Unser Projekt: Europäische Kernberufe, Leitlinien der IG Metall für die Gestaltung von Berufen, Oktober 2007.
- IG Metall-Vorstand/Sozialforschungsstelle Dortmund (2003): Die Neuordnung von Berufen braucht neue Leitbilder von Facharbeit. Empfehlungen und Schlussfolgerungen für die gewerkschaftliche Diskussion, Juni 2003. (Wird auf Nachfrage zur Verfügung gestellt.)
Basisliteratur
- Ahrens, Daniela/Spöttl, Georg (2012): Beruflichkeit als biographischer Prozess. Neue Herausforderungen für die Berufspädagogik am Beispiel des Übergangssystems, in: Bolder, Axel u.a. (Hg.): Beruflichkeit zwischen institutionellem Wandel und biographischem Projekt, VS: Wiesbaden. (Wird auf Anfrage zur Verfügung gestellt.)
- Baethge, Martin/Baethge-Kinsky, Volker (1998): Jenseits von Beruf und Beruflichkeit? - Neue Formen von Arbeitsorganisation und Beschäftigung und ihre Bedeutung für eine zentrale Kategorie gesellschaftlicher Integration, in: MittAB 3/98, S. 461-472.
- Bahl, Anke/Dorsch-Schweizer, Marlies (2012): Beruflich-betriebliche Bildung - stabiler und flexibler als gedacht, in: Carmer, Günter u.a. (Hg.): Ausbilder-Handbuch, 139. Erg-Lfg. - Juli 2012. (Wird auf Anfrage zur Verfügung gestellt)
- Beck, Ulrich/Brater, Michael/Daheim, Hansjürgen (1980): Soziologie der Arbeit und der Berufe. Grundlagen, Problemfelder, Forschungsergebnisse, darin: Kapitel I - Einführung und Überblick: Zur gesellschaftlichen Realität und Relevanz des Berufsphänomens, S. 14-22, Reinbek: Rowohlt. (Wird auf Anfrage zur Verfügung gestellt.)
- Bundesinistut für Berufsbildung (BIBB) (Hrsg.) (2008): Berufsprinzip stärken - Flexibilisierung vorantreiben, Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 37. Jahrgang, Heft 4/2008, Juli/August 2008.
- Dostal, Werner/Stooß, Friedmann/Troll, Lothar: Beruf - Auflösungstendenzen und erneute Konsolidierung, in: MittAB 3/98, S. 438-460.
- Gerholz, Karl-Heinz/Sloane, Peter F.E. (2008): Der Bolognaprozess aus curricularer und hochschuldidaktischer Perspektive - eine Kontrastierung von beruflicher Bildung und Hochschulbildung auf der Bachelor-Stufe, in: bwp@ Nr. 14, Juni 2008.
- Kalkowski, Peter (2010): Zur Klärung der Begriffe "Beruflichkeit" und "Professionalisierung", Arbeitspapier in der Fokusgruppe 1: "Beruflichkeit und Professionalisierung" im Rahmen des BMBF-Förderprogramms "Dienstleistungsqualität durch professionelle Arbeit", Göttingen: SOFI.
- Koepernik, Claudia /Wolter, Andrä (2010): Studium und Beruf, Hans-Böckler-Stiftung Reihe: Arbeitspapier, Demokratische und Soziale Hochschule, Nr. 210, Düsseldorf.
- Kuda, Eva/Strauß, Jürgen/Spöttl, Georg/Kaßebaum, Bernd (2012): Akademisierung als Herausforderung für berufliche Bildung, in: Ebd. (Hg.): Akademisierung der Arbeitswelt? Zur Zukunft der beruflichen Bildung, Hamburg: VSA, S. 10-18.
- Kutscha, Günter (2009): Bildung im Medium des Berufs? Ein kritisch-konstruktiver Beitrag zur Auseinandersetzung mit der bildungstheoretischen Grundlegung der Berufs- und Wirtschaftspädagogik durch Herwig Blankertz unter besonderer Berücksichtigung neuerer Beiträge zur Theorie der beruflichen Bildung, in: Lisop, Ingrid/Schlüter, Anne (Hg.): Bildung im Medium des Berufs? Dskurslinien der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Frankfurt a.M.: G.A.F.B., S.13-36.
- Lahner, Manfred/Ulrich, Erhard (1969): Analyse von Entwicklungsphasen technischer Neuerungen, darin: Abschnitt 4ff - Die Entstehung von Berufstätigkeiten, S. 438-446, in : MittAB 2/69.
- Meyer, Rita (2012): Professionsorientierte Beruflichkeit? - Theoretische und konzeptionelle Überlegungen zur Öffnung der Hochschulen als Lernorte der beruflichen Bildung, in: bwp@ Nr. 28, Dezember 2012. (Wird auf Anfrage zur Verfügung gestellt.)
- Rauner, Felix (2002): Moderne Beruflichkeit, in: BIBB (Hg.): Berufsbildung für eine globale Gesellschaft - Perspektiven im 21. Jahrhundert. Dokumentation des 4. BIBB-Fachkongresses 2002.
- Teichler, Ulrich (2009): Die Reformdynamik des Hochschulsystems im Kontext des Bologna-Prozesses und der Beschäftigungsentwicklung, in: Hochschulen für Gesundheit (Hg.): Dokumentation der Tagung "Zukunft der Gesundheits- und Pflegestudiengänge - Herausforderungen zwischen Bologna-Zielen und Beschäftigungsentwicklung, Magdeburg: Hochschulen für Gesundheit, S. 11-38.
- Voß, G. Günter (2002): Der Beruf ist tot! Es lebe der Beruf! Zur Beruflichkeit des Arbeitskraftunternehmers und deren Folgen für das Bildungssystem, in: Kuda, Eva/Strauß, Jürgen (Hg.): Arbeitnehmer als Unternehmer? Herausforderungen für Gewerkschaften und berufliche Bildung, Hamburg: VSA, S. 100-118. (Wird auf Anfrage zur Verfügung gestellt.)
Service
Perspektiven von Beruflichkeit - Was bedeutet moderne Beruflichkeit für Mitbestimmungspraxis und Bildungspolitik?
Dokumentation der Tagung
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