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Drängender denn je!

Digitalisierung in der beruflichen Bildung

14.10.2020 Ι Die Bertelsmann Stiftung hat zehn Thesen formuliert und fragt damit, wie sich die Herausforderungen der Digitalisierung meistern und zugleich die Chancen in der beruflichen Bildung nutzen lassen.

Die Autorengruppe positioniert sich mit dem Thesenpapier klar gegen die Annahme, Digitalisierung sei ein rein technologischer Prozess, dem alle gesellschaftlichen Teilbereiche ausgeliefert sind und auf den sie nur reagieren können. Damit folgen sie auch einer Grundhaltung der Gewerkschaften, die eine aktive Gestaltung betrieblichen und gesellschaftlichen Bedingungen in den Mittelpunkt stellen. Die Autoren selbst stellen "einen gestaltenden und wertebasierten Umgang mit den Herausforderungen der Digitalisierung" in den Fokus. Dabei haben sie drei bildungspolitische Handlungsfelder in der beruflichen Bildung identifiziert, die sich auf berufliche Schulen, Betriebe sowie überbetriebliche Ausbildungsstätten beziehen:

 

Ausbildungsorganisation

  • Technologische Ausstattung sicherstellen
  • (Gemeinsame) Qualifizierung des Lehr- und Ausbildungspersonals
  • Kooperation innerhalb und zwischen Lernorten stärken
  • Beschulung in der Fläche sicherstellen

 

Didaktik

  • "Digital Literacy" für alle Jugendlichen sicherstellen
  • Erschließung neuen Wissens ermöglichen
  • Stärkung der Kompetenzen, die schwer durch Maschinen ersetzt werden können
  • Didaktischen Mehrwert prüfen

 

Ordnungsarbeit

  • Berufsprofile anpassen
  • Weiterbildung bereits in der Ausbildung anlegen und - auch institutionell - verbinden

(Quelle: BertelsmannStiftung)

 

Über das Handlungsfeld Ordnungsarbeit, haben wir auch mit Thomas Ressel, Leiter des Ressorts Bildungs- und Qualifizierungspolitik im IG Metall Vorstand, gesprochen.

 

Lieber Thomas, die Autorengruppe attestiert der Ordnungsarbeit, in der auch die IG Metall in einem ganz erheblichen Teil mitwirkt, dass sie "gut dafür geeignet [ist], kontinuierliche Entwicklungen von Berufsfeldern abzubilden, und weniger gut dafür, auf disruptive Veränderungen zu reagieren." Was sagst Du als politisch verantwortlicher in der IG Metall dazu?

Ressel: Ob die Ordnungsarbeit weniger gut auf disruptive Veränderungen reagiert ist es Wert näher betrachtet zu werden. Wir haben bisher die Erfahrung gemacht, dass solche gravierenden Veränderungen in Berufszuschnitten und -anforderungen durchaus aufgegriffen werden. Beispiel in den 1990er Jahren die Einführung der IT-Berufe. Es entstehen durchaus neue Berufe und es werden auch Berufe abgeschafft. Richtig ist aber, es wäre aus meiner Sicht sinnvoll die Ordnungsarbeit weiter zu professionalisieren. Ein kontinuierliches Kompetenzmonitoring hinsichtlich der auch disruptiven Veränderungen sollte die Sozialpartner in der Ordnungsarbeit unterstützen. Aus meiner Sicht sollten das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung ein solches Kompetenzmonitoring gemeinsam aufbauen.

 

Weiter fordert die Autorengruppe auch ein, dass "Neuordnungsverfahren so organisiert sind, dass sie dem Veränderungstempo der Arbeitswelt gerecht werden" und dass Ausbildungsordnungen "technologieoffene, leicht aktualisierbare und kompetenzorientierte" sein müssen.

Ressel: Es macht, wie bereits gesagt, aus meiner Sicht Sinn, die Ordnungsarbeit weiter zu professionalisieren und ein kontinuierliches Kompetenzmonitoring der Berufsfelder zu entwickeln. Die zuständigen Sozialpartner sollten darauf aufbauend, regelmäßig die Veränderungen beraten und Rückschlüsse für die Ordnungsarbeit ziehen. Wir haben das bereits seit 2016 gemeinsam mit Gesamtmetall, ZVEI und VDMA umgesetzt und ein Sozialpartnermonitoring eingeführt. Was noch fehlt, ist das wissenschaftliche Kompetenzmonitoring. Die kontinuierliche Zusammenarbeit hat sich sehr positiv ausgewirkt. Wir haben innerhalb kürzester Zeit in einem agilen Neuordnungsverfahren die industriellen Metall- und Elektroberufe für Industrie 4.0 angepasst. Aktuell arbeiten wir an der Modernisierung der Industriemeisterfortbildungen.

 

Aufgrund der unterschiedlichen technologischen Entwicklungsniveaus in den Betrieben, man könnte auch Digitalisierungsgrad dazu sagen, fordern sie mehr systematische Weiterbildungsangebote in den Regionen ein. Hier heißt es: "Dort, wo solche Angebote nicht bereits durch Kammern erfolgen, sollten modern ausgestattete berufliche Schulen als regionale Weiterbildungsanbieter unterstützend aktiv werden. Eine solche zusätzliche Nutzung der Ausbildungsinfrastruktur würde die berufliche Weiterbildung zudem enger als bisher mit der Ausbildung verknüpfen.

Ressel: Das ist absolut zu unterstützen. Die beruflichen Schulen wären in den Regionen ideale Kompetenzzentren auch für die Weiterbildung. Allerdings muss auch deren Finanzierung, also Ausstattung und vor allem Personal sichergestellt werden. Kompetenz ist an den beruflichen Schulen vorhanden. Sie wären beispielsweise ideal dafür geeignet die Betriebe in der Region dabei zu unterstützen Fachkräfte für die Anforderungen von Industrie 4.0 zu qualifizieren. Wir haben dazu sieben Qualifizierungsstandards im Sozialpartnermonitoring von Gesamtmetall, ZVEI, VDMA und IG Metall vereinbart, die mit Unterstützung der beruflichen Schulen umgesetzt werden könnten.

 

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Ralf Becker Ι 16.10.2020
Berufliche Schulen als Regionale Kompetenzzentren
Die Forderung ist nicht neu und wird immer gerne von der Bertelsmannstiftung in die Diskussion gebracht. Die Forderung hört sich gut an und wäre auf den ersten Blick zu unterstützen. Auch die GEW hat dies lange Zeit getan. Da gibt es jedoch einen Haken: Neben den Problemen, dass die Mittel für die Ausstattung der Beruflichen Schulen für das gesetzlich vorgesehene Regelangebot (Berufsschule, Berufsvorbereitung, Studienqualifizierung und Fachschulen) nicht ausreichend vorhanden sind und dass neu angebotene Weiterbildungsangebote an Berufliche Schulen in interner Konkurrenz bei der Verteilung der schulischen Budgets und Stellenzuweisung zu den gesetzlichen Regelangeboten stehen, gibt es ein rechtliches Problem. In einem Gutachten für das Hessische Kultusministerium zu den Folgen für die Beruflichen Schulen bei Aktivitäten der Schulen auf dem Weiterbildungsmarkt wurde das rechtliche Problem beschrieben. Da die Weiterbildung nicht im grundgesetzlich vorgegebenen Bildungsauftrag des Staates enthalten ist, unterliegen Weiterbildungsmaßnahmen des Staates auch dem europäischem Wettbewerbsrecht. Wenn jetzt berufliche Schulen abseits des gesetzlichen Auftrags in der Weiterbildung tätig werden, besteht die große Gefahr, dass nicht nur die Weiterbildungsmaßnahmen nach europäischem Wettbewerbsrecht ausgeschrieben werden müssen sondern auch alle anderen Bildungsangebote der berufliche Schulen. Das Ganze kann zu einer Privatisierung des gesamten Bereich der beruflichen Bildung führen, was ja auch ein verdecktes Ziel der Bertelsmänner ist (Bertelsmann ist einer der größten privaten Bildungskonzerne der Welt.) So müssten dann nach Auffassung der vom Kultusministerium befragten EU-Recht-Juristen auch die Beschulung in der Berufsschule z. B. für Industriemechaniker*innen jährlich europaweit ausgeschrieben. Eine Lösung des Problems wäre die Weiterbildung als staatlichen Bildungsauftrag rechtlich festzulegen (Ein Weiterbildungsgesetz vergleichbar dem Berufsbildungsgesetz). Dies würde zum einen die Regelangebote vor dem Zugriff der Privatisierer schützen und zum anderen Weiterbildung an Beruflichen Schulen ermöglichen und den Staat dazu verpflichten hierfür auch Mittel in den Haushalten zur Verfügung zu stellen.

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Berufsbildung als Schlüsselelement für eine humane Transformation

Bei der Digitalisierung handelt es sich um einen widersprüchlichen Prozess. Zum einen ist sie eine Rationalisierungsstrategie und -vision mit beträchtlichen Risiken für Beschäftigung, Entgelte und Arbeitsbedingungen. Zum anderen wohnt der Digitalisierung ein Potenzial der Humanisierung inne, das der Beseitigung gesundheitsverschleißender und dequalifizierender und der Schaffung anspruchsvoller und lernförderlicher Arbeit dienlich sein kann.

 

Die Berufsbildung ist ein Schlüsselelement, um das Potenzial für eine humane Digitalisierung zu erschließen. Die folgenden Thesen beschreiben Eckpunkte einer Berufsbildungspolitik, die die umfassenden Interessen der Beschäftigten an guter Arbeit und entsprechenden Arbeits- und Lernbedingungen zum Ausgangspunkt macht und die auf die Entfaltung der Humanisierungspotenziale digitaler Wertschöpfung zielt.

 

Unsere Perspektive: Berufsbildung als Schlüsselelement für eine humane Transformation

 

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