FiBS-Studie zu strukturellen Entwicklungen in der dualen Ausbildung
Kein Anschluss trotz Abschluss
"Das Berufsbildungssystem ist im letzten Jahrzehnt stark unter Druck geraten: Hatte sich die Zahl der neuen Ausbildungsverträge bereits im Nachgang der Wirtschafts- und Finanzkrise um etwa 100.000 auf rund 520.000 in den letzten Jahren vor der Corona-Pandemie verringert, so sank diese Zahl im vergangenen Jahr 2020 im Zuge der Corona-Pandemie weiter auf unter 470.000 und erreichte damit einen historischen Tiefstand. Diese Entwicklung im vergangenen Jahr entspricht einerseits einer Prognose, die das FiBS im August 2020 auf Basis der Entwicklung seit der Wirtschafts- und Finanzkrise abgegeben hatte (Dohmen 2020). Andererseits passt die Größenordnung der neuen Ausbildungsverträge im vergangenen Jahr ziemlich gut zu den Ergebnissen einer Trendfortschreibung, die das FiBS bereits vor einigen Jahr vorgelegt hatte (Dohmen 2014). Insofern könnte man auch die Frage stellen, ob die Stabilisierung in den vergangenen Jahren nicht nur eine ohnehin stattfindende Abwärtsentwicklung kurzzeitig unterbrochen hat. Für diese These sprechen gleich mehrere Befunde [...]:
- Es sind fast ausschließlich Ausbildungsplätze, die mit Abiturient/innen besetzt wurden, für die Stabilisierung verantwortlich. Abiturient/innen machen nicht nur einen höheren Anteil an allen neuen Ausbildungsverträgen aus, sondern es steigt auch der Anteil der Abiturient/innen, die im Anschluss an das Abitur eine duale Ausbildung absolvieren.
- Stattdessen sinken die Übergangschancen in duale Ausbildung für Jugendliche ohne Abitur, und explizit auch für Jugendliche, die einen Realschulabschluss haben.
Dieser Befund widerlegt zum einen die Behauptung, dass die (duale) Berufsausbildung in Deutschland für Abiturient/innen unzureichend attraktiv sei und zum anderen, dass sie nur das Studium im Blick hätten. Das Gegenteil ist richtig: das Abitur wird mehr und mehr zur zentralen Zugangsvoraussetzung für eine duale Ausbildung und bekommt damit die Rolle eines "Signals".
Demgegenüber haben alle anderen Gruppen von Schulabgänger/innen schlechtere Übergangschancen in (duale) Ausbildung als noch vor ein paar Jahren. [...] Dabei sind die Chancen sowohl für Jugendliche mit als auch ohne Hauptschulabschluss deutlich schlechter als noch Anfang des letzten Jahrzehnts - in beiden Fällen sind die Übergangsquoten mit knapp 50% bzw. knapp 80% um etwa zehn Prozentpunkte niedriger als noch 2012. Dementsprechend hat sich die Zahl der jungen Menschen, die in das sogenannte Übergangssystem einmünden, in den vergangenen Jahren deutlich auf über 250.000 erhöht, zwischenzeitlich waren es sogar noch einmal rund 300.000.
Setzt man die Übergangszahlen in Beziehung zur Zahl der Schulabgänger/innen mit den entsprechenden Schulabschlüssen des jeweiligen Jahres, dann zeigt sich, dass mehr als ein ganzer Abgängerjahrgang an Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss und zwei Drittel der Jugendlichen mit Hauptschulabschluss in das Übergangssystem einmünden. Bei den Jugendlichen mit einem Realschulabschluss hat sich der Anteil in den letzten Jahren auf nahe Null reduziert, wenn man die Ausbildungswege in den Berufsfachschulen zugrunde legt und nicht die Schulform. Würde man letzteres entsprechend der Berufsbildungsstatistik des Statistischen Bundesamtes tun, dann mündete ein Drittel der Realschulabsolvent/innen in das Übergangssystem."
(Quelle: Zusammenfassung der FiBS-Studie)
Auch die Ausbildungsbilanz der IG Metall zeichnet diese Entwicklung ab. Hierzu sagt Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandmitglied der IG Metall und zuständig für Berufsbildung: "Wenn jetzt nicht endlich gegengesteuert wird und die Bundesregierung die Situation weiter nur schönredet, statt zu handeln, drohen mehr und mehr Jugendliche durch die immer wackligeren Planken des Ausbildungsmarktes zu fallen". In den Augen der IG Metall braucht es mehr als kurzfristige Lösungen. Die Bilanz beleuchtet daher nicht nur den krisenbedingten Einbruch, sondern geht der Frage nach, inwieweit die duale Ausbildung substantiell in einer Krise steckt und wie man diese beenden kann. "Wir brauchen endlich eine Ausbildungsgarantie, die Jugendlichen eine Perspektive bietet und die Unternehmen in die Pflicht nimmt, die benötigten Fachkräfte auszubilden statt nur nach ihnen zu rufen," so Hans-Jürgen Urban.