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Kooperative Ausbildung bei Siemens

Ausbilden für die Arbeitswelt von morgen

15.06.2016 Ι Die Digitalisierung birgt etliche Herausforderungen für die duale Ausbildung. Siemens hat früh darauf reagiert und seine Bildungsstrategie entsprechend ausgerichtet.

Kollege Walbaum, kannst Du uns erläutern was Siemens hier gemacht hat?

Ausgangspunkt der methodischen Vorgehensweise ist die Bestimmung der Zukunftsqualifikationen, wie z.B. PLM Software oder Netzwerktechniken, der den Berufserfolg abbildet.

 

 

Darauf aufbauend werden Ist-Werte ermittelt und in die Zukunft projiziert. Diese fortgeschriebenen Ist-Werte basieren auf der Annahme, dass die aktuellen Kompetenzen mit bestehenden Skills auf bestehenden Jobprofilen realisiert und ohne grundlegende Veränderungen der Ausbildungsstrategie weiterbetrieben werden. Die extrapolierten Ist-Werte werden sodann den der geplanten bzw. gewünschten beruflichen Kompetenzen gegenübergestellt.

 

Die operative Bildungslücke ergibt sich aus der Differenz der prognostizierten Entwicklung der Ist-Kompetenzen ohne weitere Maßnahmen und einer möglichen Entwicklung bei optimalem Vorgehen. Eine identifizierte operative Kompetenzlücke kann geschlossen werden, indem Optimierungen der operativen Berufsbildung, wie z.B. die Integration von neuen Ausbildungsinhalten in bestehende Ausbildungssequenzen oder die Optimierung der vorhandenen Qualifikationsmodule angestrebt werden.

 

Die strategische Kompetenzlücke hingegen stellt die Abweichung zwischen der möglichen Entwicklung bei optimalem Vorgehen und dem geplanten Ergebnis gemäß der strategischen Zielsetzung im Bereich der beruflichen Kompetenzen dar.

 

Die Abweichung zwischen beiden Entwicklungen zeigt die Erfordernisse der Ausbildungsinhaltsänderung bzw. -anpassung auf. Kann eine strategische Kompetenzlücke nicht rechtzeitig geschlossen werden, so besteht die Gefahr, dass die Berufsfähigkeit der Auszubildenden und Studenten langfristig nicht gesichert werden kann. Aus diesem Grund wird aufbauend auf den Ergebnissen der Gap-Analyse die Erarbeitung von Ausbildungsinhalten angestrebt, die ein Erreichen der gewünschten Kompetenzentwicklung ermöglichen sollen.

 

Als Hilfsmittel für den Suchprozess nach alternativen Strategien zur Schließung einer aufgetretenen Lücke kommt uA die Ansoff-Matrix zur Anwendung.

 

 

Wie geht ihr mit den Ergebnissen der Studie um?

Kürzere und volatilere Konjunkturzyklen, der demografische Wandel und der Kampf um Talente prägen die Arbeitswelt von heute. Hochqualifizierte Arbeitskräfte werden zu einem zentralen Wettbewerbsvorteil, denn mit ihnen können Produktivitäts- und Kapazitätsrisiken aufgrund des technologischen Fortschrittes minimiert werden. Vorausschauendes Investieren in berufliche Bildung wird zunehmend ein wichtiger Baustein gezielter Personalplanung.

 

Diese Personalplanung federt den industriellen Wandel ab und nimmt längerfristige und strategische Aspekte im Bereich des Kompetenzmanagement auf. Wir sprechen hier von Strategic Workforce Planning. SWP dient dem Unternehmen als Führungsinstrument bei der Bewältigung des Fachkräftemangels. SWP beantwortet dem Unternehmen die Frage, welche Talente mit welchen Fähigkeiten sie wann und wo benötigen, um ihre strategischen Ziele zu erreichen.

 

Für das Thema Industrie 4.0 hat Siemens z.B. 15 relevante (interne) Profile identifiziert:

 

Was macht für Dich in diesem Zusammenhang eine zukunftsfähige Ausbildung aus?

Wichtig für mich ist die strategische Einbindung der A+WB in die Personalentwicklung, so wie wir es in SWP umsetzten. Entscheidend sind für mich dabei auch drei Leitkonzepte:

Innovation! Wir setzen zeitgemäße Lehr-/Lernformen mit modernstem Equipment ein und pflegen eine Kultur der Selbstverantwortung und Teamarbeit.
Internationalität! Unseren Auszubildenden steht die Welt offen. Wir bereiten sie darauf vor.
Qualität! Wir qualifizieren permanent unser eigenes Bildungspersonal und bieten den Auszubildenden weitreichende ZQs. Unser ständiger Benchmark ist die Anforderung der Siemens-Arbeitswelt.

 

Wie setzt ihr dieses Konzept in der Ausbildung um?

Da lohnt der Blick über die Standortgrenzen hinaus, denn wir haben eine zentrale Produktentwicklungsorganisation. In dieser Organisationseinheit entstehen die Sequenzen und Module einer modernen Berufsausbildung. Meine Kolleginnen und Kollegen an fast allen  SPE-Standorten haben bereits Industrie 4.0 Konzepte/Elemente in die Ausbildung weitreichend eingebunden [mehr zu dem Thema in der rechten Spalte].

 

Eine Besonderheit bei uns ist in jedem Falle auch der Stellenwert der beruflichen Erstausbildung im Kontext eines Hochschulstudiums. Die duale Bildung ist unser Fundament einer umfassenden beruflichen Handlungsfähigkeit. Fachwissenschaftliche Vertiefungen bauen darauf auf bzw. werden darauf bezogen.

 

Unter dem Aspekt der interdisziplinären Kooperationsfähigkeit lernen und arbeiten bei uns Azubis und dual Studierende gemeinsam. Bildungs- und Entwicklungschancen werden so gerechter gestaltet, Kommunikation und Solidarität ermöglicht.

 

Kannst Du uns hier ein konkretes Beispiel geben, wie Ihr dies organisatorisch Umsetzt und welche Wirkung dies auf die jungen Kolleginnen und Kollegen hat?

Wir, bei der Siemens Professional Education, arbeiten auf der Grundlage der Pädagogik und Didaktik nach PETRA (Projekt- und Transferorientierte Ausbildung). Die Siemens AG hat dieses Konzept entwickelt um auch gezieltes, selbsttätiges Lernen zu ermöglichen. Neu im Ansatz von PETRA war, dass jeder Azubi und auch Student von Beginn seiner beruflichen Bildung an, den Bauplan seiner beruflichen Entwicklung in sich trägt. Das heißt, er trägt den Willen und die Kraft, seine eigene Entwicklung durch eigene Aktivität anzugehen, in sich. Nach PETRA liegt die Aufgabe der Ausbilder nun darin, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein Azubi oder auch Dualstudierender für seine berufliche Entwicklung braucht.

 

Damit die Azubis und Studenten ihre individuellen Anlagen entfalten können, gibt es Lern-und Studierphasen die durch den Ausbilder vorgegeben werden,  z.B. zur Vorbereitung auf den Unterricht oder auf die Lernstoffvermittlung in Sequenzen. Diese Sequenzen haben immer theoretische und praktische Anteile. Auch Arbeit in Projekten, in denen sich der Lernende mit der Wahl des zusätzlichen Lernmaterials sowie der Freiheit Fehler zu machen und sie selbst zu korrigieren oder ggf auch mal einen Schritt zurückzugehen, auseinandersetzen, findet auch in betrogenen Gruppen statt. Selbstverständlich steht der Ausbilder immer als Vertrauensperson und beruflicher Fachmann mit Rat und Hilfe sowie ergänzenden Informationen zur Seite.

 

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, müssen die Lehrkräfte geordnete Rahmenbedingungen sicherstellen. Dazu gehören vor allem:

  • durchdacht eingerichtete Werkstätten und Klassenräume
  • klare Strukturen durch den Stundenplan, abgebildet in EBIS, unserem Didaktischen Tool
  • klare Regeln für das Zusammenarbeiten im Team
  • exakte Vorgaben für den Umgang mit Materialien und Werkstatteinrichtungen, wie Maschinen und Geräte
  • Aufmerksamkeit der Ausbilder auf die Wirksamkeit der Gruppenmitglieder in der Lerngruppe sowie der Null - Toleranz Strategie beim Thema Arbeitssicherheit.
  • Aufzeigen von Wegen zur Bewältigung von Schwierigkeiten

 

Die Lern- und Lehrunterlagen sind entsprechend dem vorgeplanten Lehrstoff in EBIS abgelegt.  Die Lehrkräfte zeigen innerhalb der Sequenzen und Projekte den einzelnen Lernenden oder auch Gruppen, wie sie damit arbeiten können.

 

Dabei zeigt sich, dass eine Vermischung von Studenten und Azubis in eine Lerngruppe auch noch andere Vorteile hat.

 

Denn wer einem Mitschüler etwas erklärt, vertieft dabei die eigenen Kenntnisse. Auch Azubis können Dualstudierenden etwas zeigen und umgekehrt. Dabei stärken die Lernenden  ihre Selbstsicherheit.

 

Bei der Azubis und Studenten einer Berufsgruppe wird es ganz besonders deutlich, dass jeder Mensch seine eigenen Besonderheiten, Möglichkeiten und Grenzen hat. Konkurrenzdenken in den Lerngruppen kommt kaum auf.

 

Die Studenten, meist bedingt durch ihre längere Schulzeit, älter und gereifter und die jüngeren Azubis einer Lerngruppe erziehen und stützen sich gegenseitig. Die soziale Atmosphäre ist dadurch viel entspannter als in homogenen Ausbildungsgruppen.

 

Die maximale Gruppengröße haben wir auf 24 Lernende festgelegt.

 

Wir können hervorheben, dass bedingt durch die berufliche Ausbildung  entsprechend dem PETRA - Konzept, sich unsere Azubis und Studierenden durch ein hohes Maß an Eigenverantwortung und sozialen Kompetenzen auszeichnen.

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von Klaus Heimann

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Ferdinand Walbaum (2016)
Ferdinand Walbaum

Leiter Aus- & Weiterbildung bei der Siemens AG | Mülheim

  • Ausbilder seit  37 Jahren
  • Ausbildungsleiter seit 10Jahren
  • 35 jahrelang ehrenamtlicher Prüfer
  • Bundessachverständiger der IG Metall
     
Quellnachweis

Autor: Ferdinand Walbaum, Timo Gayer

Bilder: Siemens AG

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