Ehrenamtliche Berufemacher in der IG Metall
"Wir sind das kritische Gewissen für gute Ausbildung"
Ute, warum ist es so wichtig, dass Arbeitnehmervertreter aus den Betrieben bei der Neuordnung von Berufen dabei sind?
Ute Schmoldt-Ritter: Weil wir vor allem darauf schauen, welche Qualifikationen Arbeitnehmer brauchen, um arbeits- und beschäftigungsfähig zu sein. Wir kommen aus den Betrieben, haben die Arbeitssituation hautnah vor Aufgaben. Wir wollen verhindern, dass Facharbeit abgewertet wird und Kostendenken berufliche Bildung bestimmt und zum Sparmodell wird.
Sparmodell? Wie kann gespart werden?
Wenn Inhalte fehlen oder wenn die inhaltliche Beschreibung zu viele Optionen hat und jeder Ausbildungsbetrieb machen kann, was er will - dann ist das Berufsbild zwar flexibel nutzbar und schafft eventuell mehr Ausbildungsplätze, aber unsere Vorstellung von Qualität wird nicht erfüllt und die berechtigte Sorge um Sparprogramme beim Ausbilden in Schule und Betrieb ist gegeben.
Wer bestimmt die Inhalte und Qualität der Berufsbilder?
In der Verordnungsarbeit sind zuerst einmal die Sachverständigen der Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter gefordert. Das sind meistens Ausbilder und Ausbildungsleiter. Sie streiten inhaltlich und beschreiben die erforderlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse für den Beruf. Die Diskussionen finden auf Augenhöhe statt und sind bildungspolitisch eher neutral. Wir Praktiker haben oft dieselbe Brille auf und wollen für unsere künftigen Facharbeiter nur das Beste?
Seid Ihr nicht auch Gefangene Eurer Verbände und Gewerkschaften?
Ja und Nein! Auch wenn sich die Sachverständigen einig waren, konnte ich dennoch beobachten, dass die Arbeitgebervertreter gefangen waren in den politischen Interessen ihrer Verbände. Als Arbeitnehmervertreterin habe ich das anders erlebt: ich durfte meinen Mund aufmachen, hatte das Vertrauen meiner Gewerkschaft und konnte agieren. Ich konnte mich dadurch direkt für meine Azubis und künftigen Facharbeiter einsetzen.
Gab es auch Enttäuschungen?
Dazu fällt mir nur das letzte Treffen beim Wirtschaftsminister ein. Es gibt nach Fertigstellung der inhaltlichen Arbeit, ein Abschlussgespräch beim zuständigen Wirtschaftsministerium. Diesmal sollte außerdem abschließend die Frage diskutiert und geklärt werden, ob der Beruf in 3,5Jahre oder 3 Jahren ausgebildet werden sollte. Wir Sachverständigen waren der Auffassung, dass 3,5Jahre notwendig sind, weil wir immer noch an die Haupt- und Realschüler als Einstiegsqualifikation festhalten und gerade diesen Schulabgängern sollte eine Chance durch mehr Ausbildungszeit gegeben werden. In dieser Runde, mit Verbands-, Kammern-, Gewerkschafts- und den BiBB- Vertretern dominierten plötzlich die Stimmen der KMK und Kammern. Sie wollten beurteilen können, dass man die Ausbildung in drei Jahren schaffen könnte und das Wirtschaftsministerium hatte offene Ohren.
Mein ganz persönlicher Eindruck war allerdings: es fehlte an Ehrlichkeit! Es geht um Kosten. Es geht um Lehrermangel. Es geht um Ausbildungsplätze. 3 Jahre Ausbildungszeit sind kostengünstiger und besser zu organisieren. 3,5 Jahre stören den Schulablauf und der bekannte Lehrermangel wird nur verstärkt.
Die Kammern sehen ebenfalls Probleme: in der Umsetzung, von Ausbildungswilligkeit der Betriebe bis zur Prüfungsdurchführung - echte Bedenkenträger.
Die hochwertige deutsche Berufsausbildung wird doch weltweit gelobt, als Standortvorteil.
Ja. Alle reden davon, dass immer mehr Qualifikation und Qualität nötig ist. Aber in der Realität sieht das anders aus: Da dominieren die Kosten. Für viele Firmen und Arbeitgeberverbände ist die Ausbildung vor allem ein Kostenfaktor.
Dabei reden die Kammern davon, dass die Ausbildung "durchführbar" sein muss. Sie denken insbesondere an die Prüfungsabnahme, fehlende Prüfer, an die mangelnde Bereitschaft Prüfer freizustellen und die Prüfungsaufgabenersteller bei der PAL.
Es entwickelt sich ein Teufelskreislauf. Qualität JA aber möglichst kostengünstig. Nur Qualität hat seinen Preis!
Schafft Ihr es denn, Euch als Gewerkschaftsvertreter durchzusetzen und die Qualität der Berufe zu erhalten?
Wir Gewerkschaftsvertreter sind die Einzigen, die den Teufelskreislauf durchbrechen können. Wir sind quasi das kritische Gewissen in Sachen Inhalt und Qualität in der Berufsausbildung.
Es ist für uns in den letzten Jahren immer schwieriger geworden.
Ein Beispiel sind die Kammern. Sie mischen sich immer mehr und immer früher im Neuordnungsverfahren ein, weil sie angeblich "das Ganze" sehen - und drängen die eigentlichen Arbeitgeber-Sachverständigen zurück. Insgesamt melden sich immer mehr Verbände und immer weniger Sachverständige zu Wort.
Verstärkt wird die Problematik auf Arbeitnehmerseite dadurch, dass die Freistellung von Sachverständigen in der Verordnungsarbeit, in der Prüfungsaufgabenerstellung oder zur Abnahme einer Prüfung immer schwieriger wird. Es fehlen zunehmend Ressourcen auf der Arbeitnehmerbank.
Was muss denn passieren, damit die Qualität der hochgelobten dualen Berufsausbildung in Deutschland dauerhaft gesichert wird?
Die Kosten dürfen nicht die Inhalte und Qualität bestimmen. Berufsausbildung muss durch Sachverständige von der Basis geprägt werden. Gewerkschaften sind als das kritische Gegenstück zu begreifen und nicht als Störgrößen. Ausreichende Ressourcen für Hauptamtliche, der Ehrenamtliche, für Ausbilder und Lehrer, für Sachverständige und Prüfer.
Und schließlich müssen wir mehr um Bildung kämpfen. Es kann doch nicht sein, dass die Ausbildung schlechter wird, nur damit sie "durchführbar" wird.