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Berufliche Bildung

Baustein einer aktiven Transformationspolitik

18.10.2018 Ι Dass sich die Arbeitswelt in Deutschland weiter verändern wird, ist offensichtlich: Digitale Technologien haben bereits viel verändert und werden noch mehr verändern. Zudem stehen ganze Branchen, wie etwa die Autoindustrie, mitten in tiefgreifenden Veränderungsprozessen. Transformation der Arbeit lautet das Stichwort. Das alles verändert auch die Qualifikationsanforderungen am Arbeitsmarkt.

Ist unser System der beruflichen Bildung darauf vorbereitet? Die Antwort lautet "ja" und "nein": "Ja" - weil unser System der beruflichen Bildung zu Recht mit seiner spezifischen Verzahnung von Theorie und Praxis und der gemeinsamen Verantwortung von Arbeitgebern und Gewerkschaften Berufs- und Qualifikationsprofile schnell und flexibel an die Erfordernisse anpassen kann. Jüngstes Beispiel: Gerade wurden die industriellen Metall- und Elektroberufe innerhalb weniger Monate auf Vorschlag der Sozialpartner modernisiert. Auch die IT-Berufe befinden sich im Modernisierungsprozess.

 

Die sich ändernden Kompetenzanforderungen, beispielsweise der Bedeutungszuwachs von IT-Kompetenzen, stärkeres Prozess- und Systemverständnis oder die Arbeit in interdisziplinären Teams, nehmen Einzug in Ausbildungsordnungen und müssen nun in der betrieblichen Ausbildungspraxis umgesetzt werden. Die betriebliche und berufsschulische Ausbildung braucht hierfür einen didaktischen Modernisierungsschub. Das Bildungspersonal muss dafür vorbereitet werden. Der Gesetzgeber muss das Ausbildungspersonal und dessen Qualifizierung im BBiG aufwerten und mit öffentlichen Förderprogrammen die richtigen Impulse für Modellprojekte in den Betrieben geben.

 

So weit so gut. Doch auch die Defizite sind nicht zu übersehen. Nehmen wir die berufliche Erstausbildung: Hohe Abbruchquoten in einigen Ausbildungsberufen, insbesondere wo es keine betriebliche Interessenvertretung gibt, sind ein starker Hinweis auf Qualitätsmängel. Die Ergebnisse des jährlichen DGB-Ausbildungsreports und Berichte aus der Ausbildungspraxis machen deutlich: Die Qualitätssicherung der Ausbildung muss weiter verbessert werden. Beispielsweise geben mehr als ein Drittel der befragten Auszubildenden an, sie besäßen keinen betrieblichen Ausbildungsplan. Der betriebliche Ausbildungsplan ist aber sehr wichtig für eine systematische Qualifizierung. Die betrieblichen Anforderungen und die individuellen Lernvoraussetzungen von Auszubildenden werden auf Grundlage des Ausbildungsplans strukturiert. Die konkreten Ausbildungsplätze im Betrieb, die zu vermittelnden Inhalte und die zugeordneten Ausbildungszeiten werden darin beschrieben. Die Auszubildenden sowie die Ausbildungsverantwortlichen können so die Ausbildung planen, nachvollziehen und reflektieren. Deshalb muss der betriebliche Ausbildungsplan verbindlich im BBiG verankert werden. Die zuständigen Stellen, IHK und HwK, müssen durch die BBiG-Reform stärker in die Pflicht genommen werden, Ausbildungsbetriebe zu beraten aber auch zu überprüfen. Die Kammern sollten verpflichtet werden ein verbindliches Ausbildungsqualitätsmanagement unter Beteiligung der Berufsbildungsausschüsse sicherstellen.

 

Auch die Qualität der beruflichen Aufstiegsfortbildung sollte weiter gestärkt werden. Bisher sind im BBiG lediglich Prüfungsbestimmungen der Fortbildungsabschlüsse verankert. Für die Lernprozessgestaltung gibt es keine orientierenden Vorgaben. Mit einem Fortbildungsrahmenplan, analog dem Ausbildungsrahmenplan in der Ausbildung, sollten qualitätsfördernde Standards gesetzt werden. Fortbildungsinteressierte können Bildungsangebote und Fortbildungsanbieter daraufhin prüfen.

 

Der betrieblichen Weiterbildung wird eine zentrale Aufgabe im Transformationsprozess zugeschrieben. Zu Recht, denn für viele Beschäftigte wird die digitale Transformation grundlegende Veränderungen in ihren Arbeitszuschnitten bringen. Fachkräfte werden neue Aufgaben, Techniken und Formen der Zusammenarbeit praktizieren und müssen dafür qualifiziert werden. Die Industrie 4.0-Zusatzqualifikationen in den modernisierten Metall- und Elektroberufen sind nach den Vorstellungen der Sozialpartner Standards auch für die Anpassungsqualifizierung im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung. Betriebsräte haben hier Mitbestimmungs- und Informationsrechte insbesondere nach §§ 96 bis 98 BetrVG und können damit Impulse für betriebliche Qualifizierungen geben. Die Mitbestimmung sollte weiter ausgebaut werden, um eine breitere Wirkung zu erzielen.

 

Die Weiterbildung ist weiterhin geprägt durch eine selektive Verteilung von Bildungschancen. Obwohl nach der jüngsten Erhebung im Erwachsenenbildungssurvey (AES) in Deutschland im Jahr 2016 rund 50 Prozent der Erwachsenen an einer Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen haben, ist die Weiterbildungsbeteiligung extrem abhängig vom Bildungsstand und Einkommen. Bei Menschen mit Hochschulabschluss beteiligen sich 68 Prozent, mit Fortbildungsabschlüssen 64 Prozent, mit einem Berufsabschluss 46 Prozent und bei Menschen ohne Berufsabschluss noch 34 Prozent. Eine besondere Herausforderung ist es Geringqualifizierte ohne formalen Berufsabschluss für eine Weiterbildung zu gewinnen. Die Erfahrung zeigt, nur mit Förderprogrammen wird das nicht hinreichend gelingen, es braucht persönliche Ansprache und Begleitung. Gute Erfahrungen machen wir gerade mit einem Projekt, in dem wir IG Metall-Vertrauensleute zu Weiterbildungsmentoren ausbilden. Die Vertrauensleute sind nah an den Kolleginnen und Kollegen dran, kennen ihre Situation und haben ihr Vertrauen. So kann der Betriebsrat unterstützt werden, Weiterbildungsbedarfe festzustellen und geeignete Maßnahmen vorzuschlagen. Die Kolleginnen und Kollegen können motiviert, ermutigt und begleitet werden.

 

Das duale Studium gilt aufgrund der markanten Zuwächse und der Verbindung aus wissenschaftlicher und beruflicher Ausbildung richtigerweise als Erfolgsmodell für Studierende und Betriebe. Doch bei allen Erfolgsmeldungen dürfen bestehende Missstände nicht übersehen werden. In der Ausgestaltung der Praxisphasen eines dualen Studiums bestehen aufgrund fehlender, verbindlicher Qualitätskriterien deutliche Verbesserungspotenziale. Dies belegen inzwischen auch mehrere Studien. Der BIBB-Hauptausschuss hat bereits im letzten Jahr Mindestanforderungen aus Sicht der beruflichen Bildung für das duale Studium in seiner Empfehlung 169 formuliert. Nun ist es am Gesetzgeber, im Sinne der Gleichbehandlung einen einheitlichen Rahmen für alle "Auszubildenden", also auch die dual Studierenden, im Lernort Betrieb zu definieren.

 

Diese Beispiele zeigen: Wir müssen vieles noch besser machen. Die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen bieten hierfür Chancen. Insbesondere die BBiG-Reform und die nationale Weiterbildungsstrategie müssen eine deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen bringen.

 

Artikel erschien in der Septemberausgabe von Berufsbildung Aktuell

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